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  • Iva Nesheva

Kostenerstattung im englischen Gerichtsverfahren (Zivilrecht)



Unter welchen Voraussetzungen werden die Kosten für ein gerichtliches Verfahren in England vom Gegner erstattet?


Wie viele andere Rechtsgebiete ist auch das Kostenrecht von der typisch englischen Besonderheit geprägt, dass das Gericht einen breiten Ermessensspielraum hat.


Die Situation unterscheidet sich vom deutschen Zivilprozessrecht. Selbst wenn Sie den Prozess gewinnen, ist Ihr englischer Gegner nicht in jedem Fall verpflichtet, Ihre Gerichts- und Anwaltskosten zu tragen. Eine Zusammenfassung der Kriterien, nach denen das Gericht über die Kostenerstattung entscheidet, finden Sie unten.


Das Gericht hat Ermessen bezüglich der Frage, ob es eine Kostenentscheidung (costs order) trifft und wie diese auszusehen hat


Im costs order bestimmt das Gericht, ob eine Partei der anderen Kosten zu erstatten hat, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt.


Wenn das Gericht über die Kosten entscheidet, gilt zwar der Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten der obsiegenden Partei erstatten muss. Gesetzliche Ausnahmen gibt es, anders ist es z. B. in manchen Verfahren vor dem Court of Appeal. Aber auch andere Gerichte können die Kosten abweichend von diesem Grundsatz aufteilen.


Die wichtigsten Faktoren, die das Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt, sind:


  • das (vor-)prozessuale Verhalten der Parteien (conduct of the parties):

Hier prüft das Gericht, ob die Partei bestimmte prozessuale Regeln wie die sog. Practice Directions eingehalten hat bzw. ob alle gesetzlich geregelten Schritte für das außergerichtliche Vorgehen beachtet wurden (Pre-Action Conduct/ Pre-Action Protocols). Was bei Verstößen gegen diese geschieht, hängt vom Einzelfall ab. Das Gericht hat die Möglichkeit, die verantwortliche Partei von der Pflicht zur Beachtung dieser Regeln zu entbinden, das Verfahren auszusetzen oder aber die Partei durch Auferlegung weiterer Kosten zu sanktionieren.


Zum conduct of the parties gehören auch die Art und Weise, bestimmte Ansprüche geltend zu machen oder Vorwürfe zu erheben sowie ihre Angemessenheit. Zu beachten ist auch, ob der (erfolgreiche) Kläger eine Mehrforderung geltend gemacht hat trotz Kenntnis, dass ihm diese nicht zusteht (exaggerated claim).


  • der (Teil-)Erfolg einer Partei;


  • die Bemühungen der Parteien, den gerichtlichen Rechtsstreit zu verhindern bzw. mittels einer Einigung zu beenden:

Je nach Sachlage kann das Gericht erwarten, dass eine Partei geeignete Vergleichsvorschläge macht und die andere Partei innerhalb von einer angemessenen Frist darauf reagiert.



Beispiel: Expert evidence


Die solicitors der Gegenseite versuchen, meinen Mandanten dazu zu bewegen, vor Einleitung des Rechtsstreits ein Sachverständigengutachten auf eigene Kosten zu bestellen. Die Parteien sind sich einig, dass expert evidence in diesem Fall unerlässlich ist.


Die Besonderheit besteht darin, dass man nach der einschlägigen Practice Direction Sachverständigengutachten nicht ohne "permission" des Gerichts als Beweismittel verwenden darf. Wenn der Mandant bereits jetzt einen Sachverständigen beauftragt, riskiert er, Kosten für zwei Gutachten tragen zu müssen. Dies wäre weder erforderlich, noch angemessen.


Voraussichtlich werden beide Parteien nach Klageeinreichung ohnehin einen sog. single joint expert beauftragen. Das ist ein Sachverständiger, der Weisungen von beiden Parteien erhält und deren Vergütung grundsätzlich beide Parteien zur Hälfte tragen müssen.


Da die Gegenseite aber so sehr auf das außergerichtliche Gutachten besteht, kommt unsererseits der Vorschlag, die Kosten für dieses zu teilen. Plötzlich sind die Kollegen doch nicht mehr so überzeugt von der Erforderlichkeit des außergerichtlichen Gutachtens.


Das Kostenrisiko im Hinblick auf diesen Aspekt dürfte minimiert sein.



Die Höhe der ersatzsfähigen Kosten


Wenn das Gericht entscheidet, dass eine Kostenerstattung stattzufinden hat, muss es die Höhe der ersatzfähigen Kosten bestimmen. Dabei berücksichtigt es insbesondere die Verhältnismäßigkeit der letzteren. Sie dürfen nicht außer Verhältnis zum Interesse der Parteien an dem Rechtsstreit stehen, anderenfalls kann der erstattungsfähige Betrag reduziert oder die Erstattung sogar vollständig ausgeschlossen werden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt das Gericht den Gegenstandswert, den Umfang und die Schwierigkeit der Angelegenheit sowie ggf. ihre Bedeutung für die Öffentlichkeit.


Keine Kostenentscheidung


Trifft das Gericht keine Kostenentscheidung, ist davon auszugehen, dass jede Partei ihre Kosten selbst zu tragen hat. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen besondere Kostenvorschriften einschlägig sind.



Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass das Fehlen einer einheitlichen Regelung keine Panik verursachen sollte. Den gewünschten Ausgang des Verfahrens kann niemand sicherstellen, es gibt aber genügend Möglichkeiten, diesen positiv zu beeinflussen. Man kann durch sorgfältige Prozessführung dafür sorgen, dass die eigenen Kosten zumindest teilweise erstattet werden bzw. die Haftung für Kosten des Gegners weitestgehend verhindern.


Die Bedeutung der "Umstände des Einzelfalls" ist- wie überall- keinesfalls zu unterschätzen.



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